BSG-Urteil bringt Wendepunkt: Für Merkzeichen aG zählt nur die Mobilität im öffentlichen Raum (rentenbescheid24.de) 

Zug mit einem Rohlstuhlzeichen
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Ein Meilenstein für Menschen mit schwerer Gehbehinderung. Das Bundessozialgericht hat am 9. März 2023 ein wegweisendes Urteil gefällt (Az. B 9 SB 1/22 R). Diese Entscheidung stellt für  viele Menschen mit schweren Mobilitätseinschränkungen einen echten Wendepunkt dar. Im Zentrum der Entscheidung steht das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung), das weitreichende Nachteilsausgleiche ermöglicht – unter anderem beim Parken, im öffentlichen Personennahverkehr und bei steuerlichen Erleichterungen. In diesem Beitrag erläutern wir, warum diese Entscheidung so wichtig ist und was Betroffene jetzt wissen müssen! 

Leitsatz zum Urteil des BSG

Für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ ist allein die tatsächliche Mobilität im öffentlichen Verkehrsraum entscheidend; die Fähigkeit, sich unter geschützten oder idealisierten Bedingungen fortzubewegen, ist nicht maßgeblich. 

Das Bundessozialgericht stellte in seinem Urteil unmissverständlich klar: Nicht die Fähigkeit, sich unter idealen Bedingungen fortzubewegen, ist entscheidend – sondern allein die tatsächliche Mobilität im öffentlichen Raum. Diese Entscheidung bringt Klarheit für Betroffene und signalisiert ein Umdenken bei der Bewertung von Gehbehinderungen im Zusammenhang mit dem Merkzeichen aG. 

Worum ging es im konkreten Fall? 

Eine Frau klagte, die an Multipler Sklerose (MS) leidet und dadurch stark in ihrer Gehfähigkeit eingeschränkt ist. Sie konnte sich nur mit Mühe noch kurze Strecken innerhalb von Gebäuden bewegen, etwa auf ebenen Klinikfluren. In der Öffentlichkeit jedoch war ihre Mobilität massiv eingeschränkt, wegen unebenem Boden, mit Bordsteinen, Steigungen oder langen Wegen. Hinzu kamen erhebliche Sturzrisiken und Unsicherheiten bei jeder Bewegung. Sie beantragte deshalb das Merkzeichen aG, welches die zuständige Behörde aber ablehnte. Begründung des Versorgungsamtes: Die Klägerin sei ja noch eingeschränkt gehfähig. Die betroffene Klägerin wehrte sich juristisch gegen diese Entscheidung juristisch und dies mit durchschlagendem Erfolg vor dem Bundessozialgericht. 

Was hat das BSG entschieden? 

Das Gericht hat zentrale Maßstäbe für die Vergabe des Merkzeichens „aG“ neu definiert bzw. konkretisiert: Öffentlicher Raum als Maßstab 

Entscheidend ist, wie sich die betroffene Person im typischen öffentlichen Verkehrsraum fortbewegen kann – mit all seinen Herausforderungen wie Pflastersteinen, Bordsteinkanten, Unebenheiten oder Steigungen. Innenräume wie Klinikflure oder Wohnungen sind dabei nicht relevant. 

Reale Mobilität zählt, nicht theoretische Gehstrecken 

Eine Person, die unter optimalen Bedingungen einige Meter gehen kann, aber draußen faktisch kaum mobil ist, kann dennoch als außergewöhnlich gehbehindert gelten. Das Gericht fordert eine lebensnahe Gesamtbetrachtung der Mobilität. 

Nicht nur orthopädische, sondern auch neurologische Erkrankungen 

Das BSG stellt klar: Auch neurologische oder muskuläre Erkrankungen wie MS, Parkinson oder Muskeldystrophien können eine außergewöhnliche Gehbehinderung darstellen, wenn sie die Mobilität in gleichem Maße einschränken wie orthopädische Schäden. 

Sturzgefahr nur bei dauerhafter Rollstuhlbedürftigkeit relevant 

Eine erhöhte Sturzgefahr allein reicht nicht automatisch aus. Maßgeblich ist, ob ein medizinisch begründeter dauerhafter Rollstuhlbedarf besteht oder die Mobilität vergleichbar stark eingeschränkt ist. 

Warum ist dieses Urteil so wichtig? 

Für viele Menschen mit chronischen oder fortschreitenden Erkrankungen ist Mobilität nicht mit fixen Gehstrecken messbar. Sie erleben Mobilität als Unsicherheit, Anstrengung und oft auch Angst – insbesondere im öffentlichen Raum. Dieses Urteil erkennt genau diese Lebensrealität an und fordert, sie bei der Beurteilung schwerer Gehbehinderung endlich angemessen zu berücksichtigen. Damit wird der Blick von formalen Gehstrecken hin zu funktionaler, alltagstauglicher Mobilität verschoben. Und das bedeutet: Mehr Menschen mit tatsächlicher Bewegungseinschränkung erhalten künftig die Unterstützung, die sie benötigen: 

  • Menschen mit neurologischen, muskulären oder kognitiven Beeinträchtigungen werden künftig gleichrangig mit orthopädisch Betroffenen berücksichtigt 
  • Entscheidend ist, ob man sich im Alltag draußen sicher und eigenständig bewegen kann – nicht, ob man in Innenräumen ein paar Meter schafft 
  • Wer im öffentlichen Raum stark eingeschränkt ist, hat gute Chancen auf das Merkzeichen aG – auch wenn bisherige Kriterien nicht erfüllt schienen 

Fazit 

Das Urteil des Bundessozialgerichts ist wegweisend und stärkt die Rechte von behinderten Menschen, die wegen Krankheit stark gehbeeinträchtigt sind . Es sorgt für mehr Gerechtigkeit im Umgang mit Menschen, die im Alltag auf Mobilitätshilfen oder Unterstützung angewiesen sind. Es beendet die behördliche Praxis, die Gehfähigkeit unter Beachtung im privaten Bereich für das Merkzeichen aG zu bewerten. Es gilt als Maßstab nur der öffentliche Raum. Gerade für Menschen mit neurologischen Erkrankungen, unsichtbaren Behinderungen oder schwankendem Krankheitsverlauf ist das ein wichtiger Fortschritt. Behörden sind künftig verpflichtet, die individuelle Lebensrealität Betroffener umfassend zu berücksichtigen – und das stärkt die Rechte vieler, die bisher keinen Anspruch auf das Merkzeichen aG hatten. 

09.06.2025 

Referenz:  
https://rentenbescheid24.de/bsg-urteil-bringt-wendepunkt-fuer-merkzeichen-ag-zaehlt-nur-die-mobilitaet-im-oeffentlichen-raum

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