Tierexperimentelle Studie
Schmerz und Tastreiz: Nicht ohne Schwann-Zellen!
Damit Schmerz- und Tastreize ins Gehirn gelangen können, sind entsprechende Rezeptorzellen in der Haut nötig. Zentral beteiligt sind auch Schwann-Zellen, zeigen Versuche mit Mäusen. Das eröffnet neue Perspektiven für die Schmerztherapie.
Veröffentlicht: 07.02.2024, 16:44 Uhr
Berlin. Die Haut verfügt ja bekanntlich über eine Vielzahl von sensorischen Rezeptorzellen, die Berührung, aber auch potenzielle Gefahren wie schmerzhafte mechanische und chemische Reize, Hitze oder Kälte erkennen und ein entsprechendes Signal an Rückenmark und Gehirn weiterleiten. Bislang ging man davon aus, dass sensorische Neuronen allein für diese Aufgabe verantwortlich sind. Doch auch Schwann-Zellen spielen dabei eine entscheidende Rolle, teilt das Max Delbrück Center (MDC) mit.
Schwann-Zellen sind bekannt als Isolierschicht um Nervenfasern, erinnert das MDC. Sie schützen und versorgen Neuronen. Bestimmte Typen von Schwann-Zellen sind aber auch aktiv an der Wahrnehmung sensorischer Reize beteiligt, hat sich nun bei Versuchen mit Mäusen gezeigt. Diese Schwann-Zellen durchziehen die Haut nur wenige Mikrometer unterhalb der Epidermis wie ein Netz und stehen mit den freien Nervenenden sensorischer Rezeptoren in Verbindung, die mechanischen Druck wahrnehmen, berichten die Teams um Professor Gary Lewin und Professor James Poulet vom MDC jetzt gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern (Nature Communications 2024; online 6. Februar). „Wir waren überrascht, wieviel Reizwahrnehmung die Schwann-Zellen selbst übernehmen“, wird Gary Lewin, Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“ am MDC in der Mitteilung zitiert.
Ohne Schwann-Zellen nahmen die Mäuse Vibrationen nicht wahr
Erste Hinweise auf die Bedeutung von Schwann-Zellen für die Schmerzwahrnehmung (Nozizeption) hatten zuvor Lewins schwedische Kollaborationspartner gefunden. Julia Ojeda-Alonso aus Lewins Team wollte der Sache zusammen mit Poulets Team und internationalen Kolleg*innen wie Dr. Laura Calvo-Enrique vom Karolinska Institutet in Stockholm auf den Grund gehen. Die Forschenden nutzten dafür die Optogenetik. Sie züchteten Mäuse, bei denen sie verschiedene Typen von Schwann-Zellen durch verschiedenfarbige Lichtreize an- und ausschalten konnten.
Es genügte, die Schwann-Zellen durch einen Lichtreiz zu aktivieren, damit ein Schmerzreiz ins Gehirn weitergeleitet wird. Die Nozizeptoren selbst mussten dafür nicht stimuliert werden. Wenn die Schwann-Zellen blockiert wurden, reduzierte sich die Reizweiterleitung vom Nozizeptor aus um mindestens die Hälfte. „Wir gehen davon aus, dass wir aufgrund von technischen Limitierungen die Bedeutung der Schwann-Zellen nicht vollständig abbilden konnten und sie in manchen Fällen sogar den Großteil der Reizwahrnehmung übernehmen“, sagt Lewin.
Im nächsten Schritt untersuchte das Team, wie es sich mit Tastreizen verhält. Sie konzentrierten sich dabei auf die Meissner-Körperchen. Das sind Druckrezeptoren der Haut, die ebenfalls eng mit Schwann-Zellen verbunden sind. Das Team um James Poulet, Leiter der Arbeitsgruppe Neuronale Schaltkreise und Verhalten“, trainierte die Mäuse so, dass sie mit der Vorderpfote äußerst feine Vibrationen spüren und dies durch ihr Verhalten anzeigen. „Bei ausgeschalteten Schwann-Zellen war das für die Tiere deutlich schwieriger“, so Poulet. Wenn die optogenetische Blockade aufgehoben wurde, kehrte die feine Wahrnehmungsfähigkeit zurück.
Neue Ansätze für die Schmerztherapie
Vor allem die Weiterleitung mechanischer Reize, nicht jedoch die von Hitze- oder Kältereizen beeinflussen die Schwann-Zellen, konnten die Forschenden zeigen. „Es ist denkbar, dass polymodale Nozizeptoren, die auf mechanische, thermische und chemische Reize reagieren, nur mit Hilfe der Schwann-Zellen sinnvoll funktionieren“, sagt Lewin.
Die Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für das Verständnis und die Therapie von Schmerz und gestörtem Tastsinn. „Die Schwann-Zellen direkt unter der Hautoberfläche sind für Wirkstoffe leicht zugänglich“, so Lewin. Das macht sie zu einem attraktiven Ziel, um das Problem direkt an der Wurzel anzugehen. (eb/ikr)
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