„Schmerzen waren unerträglich“: Leben nach einer Hand-Amputation (br.de)

„Schmerzen waren unerträglich“: Leben nach einer Hand-Amputation

Martin Gruber, Katharina Häringer, BR24 Dein Argument

Dominik Müller
(c) BR/Katharina Häringer

Vor etwa einem Jahr hat Dominik Müller eine schwerwiegende Entscheidung getroffen: Er ließ sich die linke Hand amputieren. Vorausgegangen waren jahrelange Schmerzen. Jetzt kämpft sich der Passauer zurück ins Leben. Mit Hilfe einer Hightech-Prothese.

Es ist dieses surrende Geräusch, das Dominik Müller den ganzen Tag begleitet. Jede Fingerbewegung erzeugt ein deutlich hörbares „Ssst“. Wenn er die Zahnbürste nimmt, den Kühlschrank öffnet oder eine Wasserflasche greift und aufmacht: „Ssst“.

Künstliche Hightech-Hand aus Carbon und Silikon

Seit zwei Wochen trägt der 39-Jährige die künstliche, elektronisch gesteuerte Hand aus Carbon, Silikon und speziellen Metallen. Vieles klappt damit schon ganz gut. Als ihm beim Aufdrehen der Zahnpastatube der Verschluss zu Boden fällt, lacht er und sagt ein wenig entschuldigend zum BR-Kameramann: „Das habt Ihr hoffentlich jetzt nicht gefilmt.“

Dominik ist ehrgeizig und übt jeden Handgriff mehrmals, bis er funktioniert. Er schafft es sogar schon, mit seiner Roboterhand ein rohes Ei unfallfrei aus einer Schachtel zu nehmen.

„Schmerzen waren unerträglich“

Die Leidensgeschichte des Passauers beginnt bei einem Fußballtraining in seinem Sportverein vor 18 Jahren – und mit einer an sich harmlosen Situation: Er bekommt einen scharfen Ball an die Hand. Verstaucht, lautet die erste Diagnose. Dass sich Dominik das Kahnbein gebrochen hat, stellt sich erst ein Jahr später heraus. Was folgt, sind jahrelange, kaum zu ertragende Qualen. Die Schmerzkrankheit CRPS bestimmt fortan sein Leben: „Die Schmerzen waren unerträglich. An manchen Tagen bin ich weinend im Bett gelegen, weil es so wehgetan hat.“

Letzter Ausweg: Amputation

17 Operationen, Schmerztherapien, Rehabilitation sowie Behandlungen mit Psychopharmaka und anderen Medikamenten musste Dominik über sich ergehen lassen. „Die letzten zwei Jahre sind die Gedanken, mir die Hand einfach wegschneiden zu lassen, immer mehr geworden“, erinnert sich der Familienvater. Im Sommer 2023 dann die Entscheidung: Amputation in einer Regensburger Klinik. Verbunden war damit die Hoffnung auf weniger Schmerzen – und auf ein normales Leben.

Prothesentraining beim Spezialisten

Beim Umgang mit seiner Prothese hilft ihm zunächst noch ein Orthopädietechniker aus einem Passauer Sanitätshaus. Mit ihm übt Dominik jeden zweiten Tag mehr als zwei Stunden: Stifte nehmen, Brettspielfiguren greifen, Handtücher zusammenlegen und andere alltägliche Bewegungen.

So funktioniert die Prothese: Elektroden nehmen Muskelbewegen am Arm auf und senden über Kabel Signale an die künstliche Hand. Desch kann die Roboterhand über ein verbundenes Tablet nachjustieren: „So, das Umschaltsignal funktioniert. Probieren wir doch gleich, ob die Griffe alle passen“, fordert der Orthopädietechnikermeister seinen Patienten auf.

Dominik sei sehr lernbereit, trainiere viel und mache Fortschritte. An der Muskulatur müsse er allerdings noch arbeiten: „Die Signale, die er ständig geben muss, beanspruchen die Muskeln. Das muss sich erst alles richtig nachbilden.“ 85.000 Euro kostet die Prothese. Bevor die Krankenkasse gezahlt habe, sei sehr viel Überzeugungsarbeit und jede Menge Dokumentation nötig gewesen.

Wer bekommt eine solche Hightech-Prothese?

Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion im Rahmen desBR24-Formats „Dein Argument“ergänzt. Hintergrund ist ein Kommentar des Users „Froschhaarpinsel“ zu Voraussetzungen für eine solche Prothese.

Jeder hat das Recht auf eine Prothese. Und in der Regel übernehmen Krankenkassen auch die Kosten. Bei einer Hightech-Prothese wie der, die Dominik Müller trägt, sieht es aber schon anders aus, sagt Hans-Peter Fürst, Chef des Passauer Sanitätshauses. Es komme auf den Einzelfall an. Fürst erklärt, dass man den Krankenkassen schriftlich erklären müsse, warum es ein teures Modell braucht beziehungsweise was der Mehrwert für den Patienten ist.

Dass Dominik Müller 39 Jahre alt ist, dass er wieder mit seinen kleinen Kindern spielen und irgendwann auch wieder arbeiten möchte, hat die Krankenkasse letztlich überzeugt. 💬

Ziel: Zurück in Alltag, Beruf und Hobby

Die Entscheidung, sich die Hand amputieren zu lassen und eine Prothese zu tragen, habe sein Leben verbessert, beschreibt Dominik seine aktuelle Lage: „Es war die Rettung. Ich kann die linke Hand immer öfter hernehmen. In einem Jahr möchte ich sie voll benutzen können.“ Außerdem könne er einige Medikamente langsam zurückfahren.

Die Schmerzen seien etwas weniger, der Alltag normaler geworden. Seit Kurzem kann der leidenschaftliche FC-Bayern-Fan sogar wieder die fünfjährigen Kids seines Sportvereins, des SV Schalding-Heining, trainieren. Nächstes Ziel: zurück in einen Beruf. Momentan bezieht der gelernte Elektroinstallateur und Qualitätsmanager Erwerbsminderungsrente. Und eines ist dem Passauer besonders wichtig: „Danke an meine Familie. Unglaublich, was meine Frau und meine beiden Kinder mitmachen und zurückstecken mussten.“

CRPS (Morbus Sudeck oder Algodystrophie) ist die englische Abkürzung für „Komplexes regionales Schmerzsyndrom“. Gemeint ist die Komplikation nach einer Verletzung oder Operation der Extremitäten beziehungsweise eine übermäßige Entzündungsreaktion ohne Infektion. Die Ursache der Schmerzkrankheit ist nicht bekannt und somit auch schwer behandelbar. Schmerztherapien bleiben meist erfolglos. Laut Experten entwickeln etwa zwei bis fünf Prozent aller Patienten, die sich an Armen und Beinen verletzten, das CRPS.

Link zum Videobeitrag

Quelle: CRPS-Hilfegruppe Bayern

19.03.2024

Referenz:

https://www.br.de/nachrichten/bayern/schmerzen-waren-unertraeglich-leben-nach-einer-hand-amputation,U7NR9Ey

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