Schmerzmedizin
Wie sich Behandlungsmotivation und Effektivität steigern lassen
Autor: Dr. Vera Seifert
Bei neuropathischen Schmerzen kann man mit topischen Therapien eine Menge erreichen. Eine gelungene Kommunikation ebnet auch bei skeptischen Patienten den Weg zur erfolgreichen Behandlung.
Placeboeffekte verstärken und Noceboeffekte vermeiden, lautet die Devise bei der Patientenkommunikation. Mit dieser Strategie kann man die Effektivität einer Behandlung deutlich steigern, schreibt Dr. Mike Papenhoff, Klinik für Schmerzmedizin am BG Klinikum Duisburg. Das gilt auch für die topische Therapie bei neuropathischen Schmerzen.
In einer Studie mit 508 Teilnehmern schätzte etwa die Hälfte der Befragten eine örtliche Behandlung als weniger schmerzlindernd ein als die orale Medikation oder Injektionen, gleichzeitig als nebenwirkungsärmer und weniger bedrohlich. Eine falsche Einschätzung der topischen Therapie, betont Dr. Papenhoff: 8%iges Capsaicin ist hoch effektiv bei neuropathischen Schmerzen, es brennt aber unangenehm auf der Haut. Das müsse man den Patienten vermitteln.
Die gelungene Patientenkommunikation setzt an zwei Hebeln an, beschreibt der Anästhesist. Es gilt, beim Patienten eine positive Erwartungshaltung zu erzeugen und zugleich negative Vorstellungen von der Behandlung zu verhindern. Bei dieser Strategie macht man sich den Placeboeffekt der Therapie zunutze und schwächt den Noceboeffekt ab.
Was etwa die topische Behandlung mit 8%igem Capsaicinpflaster oder 5%igen Lidocainpatches angeht, empfiehlt Dr. Papenhoff das folgende Vorgehen:
- Man teilt seinem Patienten den vergleichsweisen hohen Preis der Medikamente mit. Von einer eher teuren Behandlung erwarten die Patienten auch gute Effekte.
- Mit Blick auf Rötungen und das entstehende Wärmegefühl sollte man erläutern, dass es sich um normale und prinzipiell positive Reaktionen handelt.
Um negative Vorstellungen von der Wirkung oder Bedenken angesichts möglicher Nebeneffekte zu vermeiden, kann man etwa so formulieren: „Die allermeisten Patienten benötigen kein Schmerzmittel. Aber natürlich haben wir auch immer welche da.“ Oder: „Eventuelle Nachwirkungen lassen sich allein durch Kühlen meist sehr gut in den Griff bekommen.“
Placebo- und Noceboeffekt
- Placeboeffekt = positive Wirkung einer Scheinbehandlung bzw. verstärkende Wirkung einer tatsächlichen Behandlung durch positive Erwartungshaltung
- Noceboeffekt = negative Wirkung einer Scheinbehandlung bzw. ausbleibende Wirkung einer realen Behandlung durch negative Erwartungshaltung
Mittels Nudging Einfluss auf die Patienten nehmen
Für Verunsicherung oder eine negative Erwartungshaltung sorgen dagegen die folgenden Formulierungen: „Wir können diese Therapie einmal ausprobieren.“ Oder: „Es hilft nicht allen Patienten, aber vielleicht Ihnen.“ Auch fürsorglich gemeinte Fragen wie „Halten Sie es aus?“ sollte man vermeiden, da sie die Aufmerksamkeit des Patienten erst recht auf die Nebenwirkungen lenken.
Schließlich führt Dr. Papenhoff noch einen Begriff aus der Verhaltensökonomie ein: das Nudging, englisch für „anstoßen“. Damit ist gemeint, dass man Entscheidungen ohne Belohnungen oder Sanktionen positiv beeinflusst, wobei die Wahlfreiheit des Patienten voll bestehen bleibt. Ein Beispiel dafür ist die Opt-out-Lösung bei der Organspende, die aktiven Widerspruch erfordert. Im Gegensatz zur Opt-in-Lösung lässt sich damit die Spendenbereitschaft erwiesenermaßen erhöhen.
Angewandt auf die Lokaltherapie neuropathischer Schmerzen kann man Patienten zu wiederholten Capsaicinbehandlungen motivieren, indem man
- schon von vornherein zwei bis drei Behandlungen als Standard deklariert,
- das Kühlen nach der Applikation als normalen Teil der Nachbehandlung etabliert.
Wer als Arzt davon ausgeht, dass die Entscheidungen seiner Patienten in erster Linie rational begründet sind, befindet sich auf dem Holzweg, warnt Dr. Papenhoff. „Diese Annahme ist ausreichend widerlegt.“ Stattdessen empfiehlt er, die Möglichkeiten der Kommunikation in vollem Umfang zu nutzen, um Motivation und Adhärenz der Patienten zu steigern.
Quelle: Papenhoff M. Schmerzmedizin 2023; 5: 39-41
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